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Sommerabschied

veröffentlicht am: 24. September 2023 | Doris Renoldner

Manchmal auf Reisen, da versinkt man. Entfernt sich von der Welt, entgleitet der Realität, wandert auf Traumpfaden – so in etwa spürte sich unser dreimonatiger Sommertörn an.

Wir starteten Ende Mai in Texada, steuerten nordwärts in die zahllosen Verästelungen und Verzweigungen der Inside Passage, querten die windige Hecate Strait und landeten in Haida Gwaii. Landschaftskino im Breitwandformat. Wir ließen uns verzaubern von der Kultur der Haida, verloren uns in der Einsamkeit, bestaunten verwitterte Totempfähle. Anfang August segelten wir zur Westküste Vancouver Islands, rauschten im Nebel durch die Juan de Fuca Meerenge, landeten im geschützten Revier der Gulf Islands und tingelten zurück nach Texada, um das Ende dieser Sommerreise mit dem Anfang zu verknüpfen. Das Segeln von A nach B formt das Gerüst, doch erst das Dazwischen verleiht ihm Farbe. Was macht die Essenz einer Reise aus? Welche Erinnerungen, welche Spuren tragen 1.500 Seemeilen kreuz und quer der Küsten British Columbias?

Der Sommer 2023 riecht nach süßlichem Zedernholz, nach überreifen Brombeeren, Waldbränden und Sonnencreme im Gesicht. Er schmeckt nach frischem Lachs, selbst gebackenem Brot, Sea Asparagus Salat (Meeresspargel), feucht und salzig. In meine Netzhaut eingebrannt sind so viele Bilder, dass man damit einen Filmtrailer zusammenschneiden könnte. Ich sehe Seeotter, die sich am Bauch kratzen; Wale, die aus dem Wasser schnellen; Schwarzbären, die am Ufer nach Muscheln suchen; Seehunde, die neugierig ihren Kopf aus dem Wasser stecken. Ich höre die hellen Schreie der Adler, das Gejammer der Möwen, das Brummen des Ofens in der Kajüte. Unvergessen bleibt Dajing Giids, ein Ort, der nie den Zugang zur Welt gefunden zu haben scheint. Nichts geschieht hier in Eile. Schon jetzt vermisse ich die Stille dieser entrückten Plätze, den weiten Himmel und das in Ferne liegende Sommerende, das mir zumindest für eine Weile die Illusion vorgaukelte, dass der Ausgang diesmal ein anderer sein könnte.

Natürlich sind das wirklich Bereichernde auf Reisen immer die Menschen, denen man begegnet. Andere Segler, Freunde, Einheimische. Wie Mike, der uns viele Kilometer zum Start des Wanderwegs der „Sleeping Beauty“ führte. Ali und Karl von der SY Muktuk, mit denen wir wunderbare Wochen Boot an Boot segelten und die uns lernten, wie man Lachse fängt. Götz, der Althippie aus Rose Harbour, der uns frisches Obst und Gemüse aus seinem verwunschenen Garten schenkte. Candice und David, die drei neue Fenster in unser Sprayhood schneiderten (www.seadreamsmarinecanvas.ca). Roger, der uns in Vancouver immer auf seinem Segelboot übernachten ließ, wenn wir zurück in die Heimat flogen, und wenn wir wieder in Kanada landeten. Dick und Anne, die uns eine Mooringboje im verstopften Tsehum Harbour organisierten. Brad, der uns Einblick in sein wildes, buntes Leben gewährte. Al, der beste Werftchef der Welt. Und last but not least Quinn, der zwei Winter lang ein Auge auf unsere Nomad warf.

Dieses Jahr brauchen wir kein Winterlager für unsere Nomad. Wir dürfen weiterziehen. Ein letzter Blick auf die Sturt Bay, ein letzter Blick zur Werft, dann lassen wir Texada im Kielwasser zurück, steuern nach Süden, der Sonne hinterher. Abschiedstränen, ganz große. Aber auch ein Gefühl von Leichtigkeit, Freude und Freiheit.

Bild oben links: Bei Candice und David im Canvas-Shop / Bilder oben: Herrliches Haida Gwaii


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