Regentanz

29. September 2021 - Leben im Ölzeug, in Fleecejacken, Merino-Unterwäsche, Gummistiefeln, so spürt sich der Herbst in der Inside Passage an. Grauer Himmel, schneidende Winde, sintflutartiger Regen.

Die unbeheizte Vorschiffskabine gleicht einer Tropfsteinhöhle. Kondenswasser sammelt sich an den Luken und tropft gleichmäßig auf den Tisch und den Kajütboden. Oft stehen wir acht bis zehn Stunden im Regen im Cockpit und halten Ausschau nach vorbeitreibenden Baumstämmen und Kelpfeldern. Nass, kalt, zermürbend. Überraschend kommt das alles nicht, es war zu erwarten. Die Wettermodelle in dieser zweiten Septemberhälfte zeigen nur noch Tiefdruckgebiete mit Fronten, die sich an unsere Fersen heften.

Erstes Gebot: Geduld, Geduld, Geduld. Noch habe ich sie nicht. Unser Weiterkommen scheint unendlich klein, langsam und stockend. Die Uhr tickt. Wir sind spät dran in der Saison, und immer häufiger verriegeln Stürme den Weg. Auf zwei Tage Strecke machen, folgen meist zwei bis drei Tage warten auf Wetterbesserung. Durch die vielen Unterbrechungen fühlen wir uns aus dem Takt gebracht und ein bisschen verloren. Sitzen wir in der Falle? Langsam hängen wir unserem Zeitplan hinterher. Mitte September, so dachten wir, wird Nomad bereits in einer Werft stehen. Doch der Südostwind hat gesiegt. Er nimmt nicht mehr ab, bläst unermüdlich mit sieben, acht Windstärken. Er zwingt uns vom Kurs ab. Die Nächte sind schon lange klamm und eisig, beim Schlafen schleichen Atemwolken übers Gesicht. Bisweilen trommelt der Regen derart heftig auf unser Deck, dass ich glaube, wir fahren durch eine Auto-Waschanlage. So krass habe ich mir den Herbst in British Columbia ehrlich gesagt nicht vorgestellt.

Ich versuche, mich einfach nicht mehr um zurückgelegte Distanzen zu kümmern und habe aufgehört die Seemeilen zu zählen, die noch vor uns liegen. Stattdessen freue ich mich über die Besonderheiten, die jeder noch so nasse und eintönige Tag bereithält. Warmer Zwetschkenkuchen in der Rescue Cove, leuchtende Regenbögen, ein einsamer Anlegesteg in Butedale, das Winken eines Schlepper-Kapitäns, Vogelschwärme, die gen Süden ziehen, eine heiße Dusche an Bord.

Und irgendwann erwische ich mich dabei, wie ich dem Wind zuhöre, dem Meer, den Wellen und dem Regen. Vielleicht lerne ich ja doch noch, dieses Mistwetter zu akzeptieren und im Regen zu tanzen …