Der 13.Mond

31. Dezember 2020 - Wie lange sind wir nun schon im unbewohnten Tahanea Atoll? In diesem Zwischenreich, im Nirgendwo zwischen Tahiti und Nuku Hiva? Wie lange ist es her, dass wir hier den Anker fallen ließen?

Wie lange schon pflügt Nomad nicht mehr durch tintenblaue Pazifikwellen, sondern schaukelt im türkisfarbenen Lagunenwasser? Ich weiß es nicht, ich müsste im Logbuch nachschauen. Aber es interessiert mich auch nicht, heute am letzten Tag des Jahres, denn ich übe mich gerade im Genießen. Langsam stellt sich wieder das Gefühl ein, zu mir selbst zurückgefunden zu haben. Das Schwere löst sich und das Leichte kommt zurück. Ich spüre an allen Ecken und Enden meines Körpers, dass ich wieder in der Gegenwart aufgetaucht bin. Dass ich da bin, wo ich sein möchte. Und mich weder nach der Vergangenheit noch nach der Zukunft sehne. Wie ein Geschenk, auf das man nicht vorbereitet ist, kam dieser Moment über mich. Manche Gefühle brauchen lange, bis sie sich an die Oberfläche trauen.

Ich habe in den letzten Wochen einiges gelernt, zum Beispiel Geduld. Etwa am 24. Dezember, als das Iridium Handy den ganzen Tag lang keinen Satelliten fand, und ich daher keine Weihnachtsgrüße versenden konnte. Oder als wir bereits unterwegs nach Raivavae waren und die Motortemperatur plötzlich auf über 100 Grad schnellte, wir schweren Herzens wieder umdrehten und in einem Sternschnuppenregen durch den Atollpass gespült wurden. Am nächsten Morgen fanden wir heraus, dass nur der Sensor der Anzeige uns zum Narren gehalten hatte. Und als wir kein Obst mehr an Bord hatten, kam die belgische Yacht Roxy von den Marquesas angerauscht und brachte Unmengen an Bananen und Grapefruits mit. Es sind die vielen kleinen Momente, die unsere Zeit hier in Tahanea ausmachen. Es sind keine Sensationen, kein fünfgängiges Silvestermenü, keine schicken Marinaliegeplätze. Es sind die Zufälle, die Unwägbarkeiten, die vielen kleinen Hürden, die immer wieder vor uns auftauchen. Und es sind die anderen Segler, die vielen großen Herzen, die unser Leben bereichern.

Wir ziehen nun den Schlussstrich unter das Jahr 2020. Glücklich und zufrieden. Und wir schicken Grüße in die Welt. Sie gelten unseren Familien, unseren Freunden und allen Menschen, die uns ein Stück des Weges begleitet haben, ob nun virtuell oder in echt. Wir sitzen beim Lagerfeuer und vergraben die Zehen im warmen Sand. Am Himmel hängt ein bereits abnehmender Vollmond, der 13. in diesem verrückten Covid-Jahr. Wir wollen diesen Silvestertag aufheben, er soll eine kleine Ewigkeit dauern. Wir werden ihn abspeichern und sichern für die Tage ohne Sonnenlicht, ohne raschelnde Palmen, ohne die Aussicht auf ein Wunder. Mit pochendem Herzen stoßen wir an auf 2021! Prosit Neujahr!