Über Distanz und Nähe

1. September 2020 - Seit Corona ist Nähe gefährlich geworden. Segelfreunde, die ich länger nicht gesehen habe, traue ich mich nicht mehr zu umarmen.

Selbst der Händedruck ist unerwünscht. Wie überall auf der Welt steigen auch in Französisch Polynesien die Infektionszahlen. Vieles spricht dafür, dass wir die Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie der Monate März und April zu verspielen drohen. War unser 50tägiger Lockdown auf der Insel Hiva Oa im Hafen von Atuona gar umsonst? Der Grund für die drohende neue Ausbreitung ist vermutlich auch, dass sich bei vielen Menschen Pandemie-Müdigkeit, Leichtsinn oder Ignoranz breitmachen. Seit Mitte Juli gibt es wieder internationale Flüge nach Tahiti und das Virus ist zurückgekehrt. Die Situation in Französisch Polynesien kommt mir sehr fragil vor. Der Präsident will so lange wie möglich einen zweiten Lockdown verhindern, den Tourismus ankurbeln, Geld fließen sehen. Wir müssen nun per Gesetz in urbanen Gebieten Masken tragen, Ansammlungen von mehr als 10 Personen sind verboten, wir befinden uns im Level 3. Werden sich die Maßnahmen verstärken, weil die Probleme dringender werden? Distanz ist zum höchsten Gut geworden. Plötzlich gibt es nur mehr wenige Personen, in deren Nähe wir uns sicher fühlen: nämlich die Segler, mit denen wir seit Wochen gemeinsam unterwegs sind. Unsere Boote, ob groß oder klein, haben eines gemeinsam: Sie halten die Welt draußen und damit das Virus. In einer einsamen Atoll-Lagune zu ankern, ist in Zeiten von Abstandsregeln ein Privileg.

Auffallend ist, dass die Seglerfamilie wieder näher zusammenrückt. Ganz selbstverständlich teilen wir Essen, Vorräte, Ersatzteile, Erfahrung. Fast jeden Abend treffen wir uns am Strand oder auf einem Boot. Wir kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben unterschiedlichen Background und unterschiedliches Alter. Faszinierend für mich: der Reichtum an Variationen und Nuancen, die Vielfalt der Tonlagen und Klangfarben. In dieser Covid-Ausnahmesituation interessiert mich mehr denn je, was andere Menschen vom Leben denken, wie sie ihr Dasein managen. Worin besteht ihr Glück? Wie weit reichen ihre Träume? Caroline und Jerome zum Beispiel, zwei junge Belgier, die in Hiva Oa eine Bar eröffnen wollten, aber leider an der polynesischen Bürokratie scheiterten. Oder unsere Traumfamilie: Tom und Sonja, zwei österreichische Meeresbiologen, die mit ihrem Sohn Keano seit Jahren über die Weltmeere schippern (www.planet-ocean.at). Gerne ankern wir neben ihrem Wharram-Kat „Pakia Tea“, sie kennen die besten Schnorchelplätze und Sonja verwöhnt uns oft mit einem Kärntner Reindling. Oder Sybille und Bo, ein absolutes Powerpaar. Sobald genügend Wind bläst, fetzen die beiden mit ihren Kites über die Lagune. Da sind Vaughan und Aimée, Vater und Tochter, die wir seit Raroia immer wieder treffen. Der 72 jährige Neuseeländer segelte letztes Jahr von den Marquesas gegen den Wind nach Mexiko, um seine Tochter abzuholen, die dort drei Jahre in einem Yoga-Camp arbeitete. Die geduldige Aimée bietet am Strand oft Yoga an. Sie hat uns den Sonnengruß und ein paar wunderbare Asanas beigebracht, die den beanspruchten Seglerücken entlasten, die Beweglichkeit der Wirbelsäule fördern, Sehnen dehnen und Muskeln kräftigen. Diese intensiven, von menschlicher Wärme und Empathie erfüllten Stunden mit den Bootsnachbarn bereichern unseren Alltag in der Südsee. Oft frage ich mich, was uns außer der planetaren Schicksalsfrage „Wie könnt es weitergehen?“ verbindet. Vermutlich ein Traum, der Traum von einem anderen Leben.

Toau-Atoll:

Vorsicht: Der auf der Seekarte so harmlos aussehende Passe Otugi kann bei auflandigem Wind und Seegang gegen auslaufendem Strom sehr rau sein. Stehende Brecher haben schon so manches Cockpit gefüllt.

Unser Ankerplatz in der Ostecke:

Position: 15 Grad 57,93´Süd + 145 Grad 52,23´West; acht Meter Wassertiefe.