Weitergehen

31. Dezember 2019 - Nach acht turbulenten, fordernden und sehr emotionalen Wochen in Österreich stehen wir Ende November vor unserem schwimmenden Zuhause in der Marina Vallejo.

Es fühlt sich seltsam an, wieder retour in Kalifornien zu sein. Im Kopf sind wir noch ganz verdreht, heftiger Jetlag macht uns zu schaffen. Wir schleppen zwei schwere Taschen an Bord, essen noch einen Sandwich, dann ab in die Koje. Wollen nur eines: schlafen, egal wann – Hauptsache lange!

Am nächsten Morgen fiebert Wolf, bei mir geht es einen Tag später los. Gefühlt waren alle Mitreisenden im Flugzeug krank, jeder rotzte, hustete, schniefte vor sich hin, kein Wunder, dass wir etwas abbekommen haben. Krank sein ist nervig. Auf Reisen ganz besonders. In der Ferne fühle ich mich dünnhäutiger als in Österreich. Irgendwie porös und durchlässig für Sentimentalität. In den kommenden Tagen verlassen wir das Boot überhaupt nicht. So eine arge Grippe hat uns schon lange nicht mehr erwischt. Weil es ständig regnet und unsere Seitenfenster immer noch undicht sind, spannen wir eine Plane übers Deck. Es kommt mir vor, als würden wir in einer dunklen Hobbit-Höhle leben.

Jeder neue Reiseanfang ist zäh. Wie zäh dieser wird, weiß ich in diesem Moment noch nicht, aber ich ahne es schon ein wenig. Zum Beispiel zerschlägt jemand am Marinaparkplatz das hintere Seitenfenster unseres Mietautos, was viele Scherereien mit sich bringt. Weiters sind Wartungsarbeiten bei Mistwetter äußerst mühsam. Drei Tage stehen wir im Dauerregen mit Nomad an Land (Werft Vallejo Boatworks) und rollen Antifouling aufs Unterwasserschiff. Aufs Schwert streichen wir noch zwei Extralagen Farbe, was uns am Tag der geplanten Abreise zum Verhängnis wird. Es steckt! Und lässt sich nicht mehr runterpumpen! Ich dachte immer, das kann gar nicht passieren. Völlig unmöglich. Auf Booten geschehen die sonderbarsten Dinge. Die Frage der Fragen lautet nun: Wie um Himmels willen bekommen wir das vor einer Woche aufgeholte Schwert je wieder runter?

Es geht Schlag auf Schlag. Wir zerlegen im Salon die Sitzbank, unter der sich der Schwertkasten befindet. Zum Glück gibt es ein Inspektionsluk, das jedoch äußerst knapp an der Wasserlinie liegt. „Wir müssen alle schweren Dinge aus Nomad rausräumen!“ meint Wolf konzentriert. Gesagt, getan. Wir schleppen unsere beiden Dingis, den Generator, volle Dieselkanister, Werkzeug, Anker etc. auf den Steg. Dann wagen wir es, die kleine Abdeckung vorsichtig zu öffnen. Mit einem Vorschlaghammer dreschen wir wild auf das Schwert, das sich natürlich keinen Millimeter bewegt. Nach einigen Sekunden richtet sich Wolf auf und sagt: „Wir sollten auch checken, ob sich der Hydraulikkzylinder noch bewegt.“ Angespannt betätige ich die Pumpe in der Backskiste und warte auf Wolfis Urteil. „Sieht gut aus, wenigstens ist die Hydraulik nicht kaputt.“

Wir suchen nach etwas Schwerem, mit dem wir mehr Kraft ausüben können. Plötzlich schleppt Ian, unser australischer Bootsnachbar, einen 35 kg Stockanker in unsere Kajüte. Die Männer stemmen den Anker in die Höhe und lassen ihn mit voller Wucht auf das Problemkind fallen - und wirklich – das Schwert bewegt sich, sackt langsam hinunter und bleibt im Schlamm stecken! Wir haben nämlich gerade Niedrigwasser und nur 1,80 Meter Tiefe! Das stört uns aber nicht mehr, das nächste Hochwasser kommt bestimmt!

Man braucht, bis man sich wieder an das Leben an Bord gewöhnt hat. An die Widrigkeiten, die Unbequemlichkeit, das ständige Basteln und Reparieren. Die Hochgefühle werden wir uns erst erarbeiten müssen. So gehen die Geschichten. Oder vielmehr: So fangen sie an. Am 24. Dezember lösen wir tatsächlich unsere Leinen vom Liegeplatz und steuern aus der Bucht von San Francisco, Kurs Süd, der Sonne entgegen…

Marina Vallejo, der neue Windgenerator ist montiert.