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10.November 2019 - Wann akzeptiert man, dass ein geliebter Mensch krank ist? Wenn es ein Arzt sagt oder wenn man es mit eigenen Augen sieht?

Die letzten Jahre verbrachte mein Vater mit einem Todesurteil, ohne zu wissen, wann es vollstreckt wird. Er balancierte sinnbildlich auf einem Seil über dem Abgrund. Saß in seiner Wohnung und wusste, dass Morbus Parkinson nicht auf wundersame Weise plötzlich verschwinden würde. Zumindest für eine Weile erhielt er Aufschub.

Doch es kam der Tag, als er sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrichten konnte. Es kam der Tag, an dem das Gehen versagte, an dem die Unterschrift nicht mehr gelang und an dem die einzige Freude darin bestand, aus dem Fenster zu schauen. Mit seiner ruhigen Art war er stark und blickte dem Unausweichlichen von Anfang an ins Auge. Er kämpfte, aber letztendlich verlor er. Jetzt ist es gesagt. Am 01. November 2019 öffnete er dem Tod die Tür und ging den Weg voraus, der vor uns allen liegt.

Ich strich ihm durch sein volles Haar. Ich hatte seine Haare in meiner Kindheit gestreichelt, als es noch dunkel war und voller Kraft. Ich streichelte es Jahrzehnte später, als es silbergrau wurde, voll vom Staub des Lebens. Ein letztes Mal legte ich meine Hand auf sein Haar am Allerheiligen-Tag und bedankte mich bei ihm - für alles.

Wir sehen uns wieder, dort wo Himmel und Meer sich berühren…