Spitzkehren

22. April 2019 - Ich sag´s gleich: Ich kann nur Schuss. Tja, ich bin nun mal keine gute Skifahrerin.

Dennoch versuche ich es immer wieder. Der Rucksack hängt schwer auf meinem Rücken, außerdem schneiden die Träger tüchtig in die Schlüsselbeine. Wie soll ich die 800 Höhenmeter zur Pforzheimer Hütte je schaffen? Vor mir schiebt Birgit mühelos ein Steigfell vors andere durchs stille Gleirschtal. Wir sind zu neunt unterwegs. Eine bunt zusammen gewürfelte Gruppe aus alten Schul- und Bergfreunden - und neuen Freunden.

Das Gehen mit den Tourenski an sich ist kein Problem. Man bewegt sich locker aus den Knien heraus und schleift die Ski über den Boden. Doch ab der Materialseilbahn beginnen die Spitzkehren und die sind für mich ein Hund. Immer wieder verheddere ich mich, hebe den Bergski zu wenig hoch, schaffe den berühmten "Kick" nicht und stelle mir jedes Mal vor, wie ich mit überkreuzten Beinen talwärts purzele. Was soll ich sagen: Am schnellsten lernt man aus Fehlern. Ich mache sie alle.

Also im Zickzackkurs rauf zur abgelegenen Hütte. Die Lage auf der Hangterrasse ist traumhaft, der Ausblick perfekt. Die Pforzheimer Hütte liegt auf 2.308 Metern. Gewaltige Landschaftsimpressionen. Steile Hänge, imposante Gipfel, glasklarer Himmel, keine Wolke unterbricht das Blau - das bleibt zu unserer Freude die nächsten Tage so. Gerti, die Oma vom Hüttenwirt Florian verwöhnt uns nach Strich und Faden. Paul, der treuherzige Hüttenhund lässt sich von Fremden kaum streicheln, bellt aber nie. Und der frisch gemachte, flaumige Kaiserschmarren schmeckt zum Hinknien gut. Wolf und ich beziehen ein Zimmer mit drei Stockbetten, alles blitzsauber und heimelig. Jeden Abend sitzen wir in der gemütlichen Stube und besprechen möglichen Touren für den nächsten Tag. Ich schnappe Begriffe wie "40 Grad Neigung" und "Bruchharsch" auf und fürchte mich schon mal im Voraus. Doch Bergmenschen sind von Natur aus hilfsbereit und verständnisvoll und nehmen mir meine Bedenken. "Das geht schon! Wenn es zu schwierig wird, drehen wir um, oder Du wartest auf uns." Meist bin ich beim Start zu warm angezogen und reiße mir bereits nach zehn Schritten die Daunenjacke vom Leib, denn beim Tourengehen wird mir blitzartig sehr heiß.

Südliche Sonnenwand, Samerschlag, Gleirscher Rosskogel, Haidenspitze, Zwieselbacher Rosskogel - das sind die Namen der schroffen Gipfel, die wir in den nächsten Tagen gemeinsam besteigen. Von oben sieht man bekanntlich immer mehr. Was mich tief berührt ist das fantastische Panorama. Eine Bergspitze erhebt sich neben der anderen, Täler sind in Watte gebettet, Schnee glitzert makellos in der kräftigen Aprilsonne.

Viel zu schnell sind die mühsam erkämpften Höhenmeter in Glückshormone umgewandelt, wir ziehen Schwünge in den perfekten Frühjahrsfirn. Wir jubeln vor Freude. Rassige Abfahrten, endloses Schwingen im großen Weiß. Eine höhere Erlebnisdichte hätten wir in diese sechs Tage nicht packen können. Wir fühlen uns frei und losgelöst vom Alltag, das Kraftfeld der Berge immer direkt vor Augen. Keine Hast, kein Leistungsdruck, keine Verpflichtung. Einfach raufgehen, um runterzufahren. Vergessen sind die Blasen an den Füßen, durchgeschwitzte Wäsche, mein gebrochener Skistock, meine zerbröselte Skischuhenschnalle, verstollte Steigfelle. Ja, Skitouren im Gleirschtal können süchtig machen, ohne Zweifel.

Aufstieg zur Haidenspitze, 2975 Meter hoch.