Ich fürchte die Gewohnheit. Die Gewohnheit vieler Menschen, oft erst hinterher zu merken, wie schön etwas war.
Deshalb machen Wolf und ich uns immer wieder bewusst, wie es sich gerade anspürt, wie es riecht, wo wir wirklich sind. Nämlich auf der südlichsten Marquesas Insel mit dem geheimnisvollen Namen Fatu Hiva. Traumziel der Weltumsegler. Sehnsuchtsort der Südsee. Von der feurigen Geburt der Insel zeugen die erstarrten Schlote erodierter Vulkane, die die Hanavave Bucht umgeben. Die tief stehende Sonne liefert einen Killer-Sonnenuntergang, der jeden in die Knie zwingt und demütig macht. Ein Rausch der Sinne. Meine Seele möchte sich am liebsten einkringeln und für immer hier bleiben.
Alles ist anders und doch sehr vertraut. Das letzte Mal ankerten wir hier 2021, damals kamen wir von den Tuamotus und segelten Richtung Norden - nach Hawaii und weiter nach Alaska. Man kann zu Social Media stehen wie man will, aber über Facebook schafften wir es, mit unseren Freunden Temo und Hei über die Jahre Kontakt zu halten. Wir laden sie zu uns an Bord auf Kaffee und Kuchen ein. Aufgeregt erzählen sie von einer Kunstausstellung auf Tahiti, an der sie in wenigen Tagen teilnehmen werden. „Mit dem Boot fahren wir vier Stunden von hier nach Hiva Oa, von dort fliegen wir nach Papeete“, erläutern sie. Temo ist ein bekannter Holzschnitzer, seine Frau Hei fabriziert Tapas. Stolz berichten sie von ihren zwei Söhnen, die jetzt in Paris studieren. Hei war letztes Jahr zum ersten Mal in Frankreich und zeigt Fotos von ihrer Reise auf dem Handy. Wir hören zu und bemerken, dass die Zeit auch auf dieser entlegenen Insel nicht stehen geblieben ist.

Am nächsten Tag wandern Wolf und ich durch das märchenhafte Tal von Hanavave zu einem Wasserfall. Überall wächst Obst in einer solchen Fülle, dass die Menschen nicht nachkommen, es zu ernten. Ein Garten Eden. Beim Rückweg schauen wir beim Haus von Temo und Hei vorbei. Sie haben einen Sack mit Pampelmusen, Zitronen, Papayas, Mangos und eine Bananenstaude für uns vorbereitet. „Vitamine für Eure Überfahrt zu den Tuamotus“, meint Temo lächelnd. In solchen Momenten bin ich den Tränen nahe. Und manchmal fließen sie auch wirklich. Vor lauter Dankbarkeit und Glück. Es sind Augenblicke wie diese, die eine Reise in Wahrheit ausmachen. Fatu Hiva, diese Zauberinsel wird immer einen besonderen Platz in unseren Herzen einnehmen. Nicht nur wegen der wilden Schönheit, der Abgeschiedenheit oder der starken, energiegeladenen Natur, sondern vor allem wegen der Menschen und ihrem herrlich ansteckenden Lächeln. A pae (tschüss, servus, baba) Fatu Hiva! A pae Temo und Hei! A la prochaine!
