Durchs Goldene Tor

16. September 2019 - San Francisco, am pazifischen Rand Amerikas, löst astronomisch viele Assoziationen aus.

Zum Beispiel Sehnsuchtsort, Traumstadt oder Geburtsstätte der Hippiebewegung. In den 1960er Jahren lebten hier Jimi Hendrix und Janis Joplin. San Francisco ist ganz bestimmt ein Magnet, der Menschen unwiderstehlich anzieht. Ein Flecken Erde, wo nur die Zukunft zählt und niemand nach der Vergangenheit fragt. Es geht um das große Versprechen vom Aufbruch, vom Neuanfang, vom Abschütteln alten Ballasts. Dieser Zauber schwebt bis heute über der Stadt. Am Schönsten ist es, sich San Francisco vom Wasser her zu nähern. Mit Wind in den Haaren und den Geruch von Ozean und Hafen in der Nase.

Wir kommen vom Norden, manövrieren Nomad an unzähligen Fischer- und Motorbooten vorbei, steuern die erste rote Tonne des Bonita Channels an. Und sind überhaupt nicht darauf vorbereitet, was uns erwartet. Plötzlich erblicken wir sie – die verdammt schönste Brücke der Welt: Die rotschimmernde Golden Gate Bridge. Mit ihren enormen Armen aus Stahl. Heute ausnahmsweise ohne Nebel! Hinter uns breitet sich der Pazifik aus, dem immer etwas Grandioses anhaftet, selbst wenn er still und funkelnd in der Sonne döst. Vor uns lockt San Francisco, das sich auf Hügeln erstreckt und vom warmen Licht weichgezeichnet wird. Unter Vollzeug gleitet Nomad unter der knapp 70 Meter hohen Hängebrücke hindurch. Angeblich wird sie jedes Jahr mit 27.000 Kilo Rot gestrichen, damit sie nicht rostet und golden aussieht, wenn die Pazifiksonne sie anstrahlt. Hunderte Kormorane flattern auf, Delphine begleiten uns. Feierlich fühlt sich das an. Was für ein schöner Empfang.

In der seichten, schaukeligen Richardson Bay bei Sausalito gehen wir vor Anker. Sausalito, nobler Vorort von San Francisco und beliebtes Fahrrad-Ausflugsziel der Touristen. Hübsche Häuser mit Wasserblick, volle Marinas, Lokale entlang der Promenade, italienische Cafeterias, rauschender Wind. Trotz all des Wohlstands ist noch etwas von der Hippie-Welle übrig geblieben, zum Beispiel die Hausbootkolonien. Von den konservativen Einwohnern Sausalitos wenig geliebt, aber immerhin geduldet. Wie die Liveaboards in der Bucht, die man loswerden will, aber nicht weiß wie. Wracks, vergammelte Yachten, Hängengebliebene, zerborstene Träume.

Ich mag den berüchtigten Nebel, der sich wie Watte über alles legt. Die Welt scheint dann entrückt und irgendwie verschluckt. Dabei ist der Nebel in San Francisco, wie überall an der Pazifikküste in Kaliforniens Norden, viel mehr als nur ein Wetterphänomen. Er ist ein Zustand des Seins, allgegenwärtig und unausweichlich. Er streicht um Häuser, kriecht über Hügel, verhüllt Brücken, übernachtet auf Booten. Er durchdringt das ganze Leben. Vielleicht ist der Nebel sogar das Geheimnis von San Francisco, die Seele der Stadt, der Schlüssel zu ihrem Zauber.

Ankerplatz vor Sausalito