Wasserfarben-Törn

31.Oktober 2018 - Mittendrin im weiten, blauen Pazifik liegen die Tuamotus, eine riesige Atollgruppe, die zu Französisch Polynesien gehört.

Sonne, Palmen, Strände, Kokosnüsse. Hier werden Südsee-Klischees erfüllt. Für die Einheimischen ist der Alltag jedoch eher hart, bescheiden, einfach. Auf den kargen Atollböden wächst kaum etwas außer Kokospalmen und Pandanus, ab und zu Papayas und Bananen. Ich überlege, was Menschen motiviert, in dieser Gegend zu leben. An solch einsamen Orten, an den Enden der Welt. Und was uns dazu treibt, immer wieder hierher zurück zu kommen.

Vielleicht ist es wegen der Sonnenaufgänge, die hier auf den Tuamotus einem Versprechen, einem Aufbruch, einem Anfang gleichen. Sie sind zart, pastellfarben und so leise wie die Liebe. Und mehr als das überfließende Licht, das Rauschen der Brandung und die Morgenstille haut mich die zarte Luft um, die warm und sanft an meinem Gesicht entlangstreift. Ich atme langsam und tief, wie ein Yogaschülerin. Bin immer wieder gerührt und dankbar, dieses Reich der Atolle betreten und bestaunen zu dürfen.

Manchmal erliege ich auch der Illusion, die besonders intensiven Augenblicke des Lebens einfrieren zu können. Wie zum Beispiel die zwei Tage auf unserem Ankerplatz im Südosten von Kauehi, wo es einfach nichts gibt. Außer Schönheit. Sie ist Sehenswürdigkeit und Glück. Die Lagune glitzert wie ein Juwel. Um uns flüssiges Türkis. Wasserfarben zum Hinknien. Frühmorgens spazieren wir über scharfe Korallen raus zum Außenriff. Hier nennt sich das Meer Ozean, der Horizont ist unglaubwürdig weit nach hinten verschoben, wütend krachen die Wellen ans Ufer. Seeschwalben kreisen aufgeregt in der Luft, keppeln über unsere Anwesenheit. Sie beschützen ihre Nistplätze am Nachbarinselchen. Wir sammeln Muscheln, Schnecken, Seeigelstacheln. Es gibt sie in Schokobraun und Marzipanrosa, Currygelb und Auberginenviolett. Stundenlang können wir übers Meer schauen, Wellen beobachten, den Haien hinter unserem Heck zusehen, lesen und einfach auch nichts tun. Über Zeit wird in Polynesien gar nicht groß nachgedacht. Sie ist immer da. Viel Mußestunden also, aber auch die sind hier türkis und warm und fließen angenehm weich um einen herum, bis die Sonne schon wieder tief steht und man sie mit einem Glas Gin Tonic in der Hand verabschiedet. Wir bejubeln die sinkende Sonne, die alles in Rot-Orange taucht. Ein Fest der Unendlichkeiten und ein Gefühl, dass die Tage ebenso sagenhaft schnell wie grenzenlos langsam verstreichen. Kaum ist der Feuerball weg, wird es stockdunkel - zwölf Stunden lang. Sterne und der volle Mond spiegeln sich auf dem vollkommen ruhigen Wasser. Ein zahmer Pulsschlag, ein poliertes Meer. Vom fernen Riff hören wir sanftes Grollen. Schwerelos schwojt der Katamaran vor Anker. Ein Abend, an dem nichts stört. Das Boot vermittelt Geborgenheit. Alles Irdische scheint in einer jenseitigen Welt zu existieren. Dass das Leben außerhalb dieser Lagune uns schnell wieder eingeholt haben wird, daran will ich gar nicht denken.

Hirifa, Fakarava Atoll